Am ersten Tag der Bauernproteste 2024 bin ich zur Autobahnausfahrt Rohrbrunn im Spessart gefahren, um mir die Proteste persönlich anzuschauen. Die Auffahrt zur Autobahn war blockiert. Hier einige Eindrücke.
Impressionen
Das Plakat kann man schon als Aufforderung zur Gewaltausübung ansehen. Wozu solche Plakate letztlich führen, hat Minister Habeck bei seinem privaten Ausflug mit einer Fähre erfahren müssen.
Dabei ist das Plakat wohlüberlegt und professionell gestaltet. Es ist kein Produkt spontanen Ärgers.
Hier hat dagegen ein Bäuerlein seinem spontanen Ärger Luft gemacht. Es ist das genaue Gegenteil von dem Plakat oben und erweckt ob seiner Unbeholfenheit schon wieder Sympatie.
Wer einen solchen Traktor fährt, gehört zu den reichen Bauern. Den Wegfall von 0,25 € kann der problemlos tragen.
Die Berufswahl von Kindern solch reicher Bauern hängt mit Sicherheit nicht von 0,25 € Agrardieselsubvention ab. Merke: Kinder oder Bambis wirken immer. Sie sind ja so niedlich!
Den Polizisten rechts im Bild habe ich gefragt, ob es korrekt sei, dass Motor des Traktors vorne läuft, um die Fahrerkabine zu erwärmen. Er meinte nach einiger Diskussion, formaljuristisch hätte ich recht, es ist wohl eine Ordnungwidrigkeit. Aber darum kann er sich jetzt nicht kümmern. Ein Bauernfreund!
Auch die Fahrer von Baustellenfahrzeugen oder dem Winterdienst machen bei den Protesten im Spessart mit. Übrigens: Frauen habe ich keine gesehen; Traktoren sind ein reines Männerspielzeug.
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Bedeutung der Landwirtschaft in Deutschland
Um die Bauernproteste allgemein und die folgenden Ausführungen richtig einordnen zu können, sollte man den Anteil der Landwirtschaft am BIP von Deutschland kennen: 0,9 %!!!. Und diese 0,9 % haben nicht nur im Bund, sondern auch in den einzelnen Ländern jeweils einen Landwirtschaftsminister, der ihre Interessen durchsetzen soll. Sie sind zwar eine kleine Gruppe, aber sie haben etwas, was sonst niemand hat: Traktoren. Und diesen Vorteil spielen sie aus. Sie blockieren Autobahnausfahrten, zwingen Angestellte ins Home-Office und Schulen in den Online-Unterricht. Ich rechne es der Ampel-Koalition hoch an, dass sie nicht vollständig eingeknickt ist.
Ursachen der Bauernproteste – nicht nur im Spessart
Unterbliebener Srukturwandel
Die eigentliche Ursache für die Bauernproteste sind nicht 21.5 Cent Dieselsteuer je Liter, sondern der unterbliebene Strukturwandel in der Landwirtschaft
Wenn man sich die Traktoren anschaut, mit denen die Landwirte auffahren, dann stammen die zu einem großen Teil aus der hunderttausend-Euro-Klasse. Wer sich für 100.000 Euro oder mehr (Neupreis) einen Traktor leisten kann, bei dem kommt es auf 21,5 Cent pro Liter Diesel nicht an.
Das eigentliche Problem ist der Strukturwandel in der Landwirtschaft. Es wurde und wird den Landwirten von ihren Funktionären und von Politikern wider besseres Wissen immer wieder gesagt, dass der bäuerliche Familienbetrieb eine Zukunft hat. Dem ist schlichtweg nicht so. In fast allen anderen Wirtschaftsbereichen gilt, dass ein Familienbetrieb gegenüber einem gut geführten Industriebetrieb nicht konkurrenzfähig ist. Weder bei den Heimschneidern noch bei den Schuhmachern noch bei den Nagelschmieden oder den Möbelschreiner hat dies funktioniert. Auch bei den Tante-Emma-Läden auf dem Land hat sich kein Politiker hingestellt und denen eine Bestandsgarantie gegeben. Und erstrecht nicht den Dorfgasthäusern oder den kleinen Brauereien. Fast alle mussten ihre Familienbetriebe aufgeben und entweder in der Fabrik oder im Supermarkt arbeiten. Nur die Bauern glauben, dass ihr Geschäftsmodell unantastbar ist.
Langfristig macht aber diese Entwicklung auch vor den Bauern nicht halt. Es gibt viel zu viele relativ kleine Betriebe, bei denen sich die Investitionskosten niemals über die Marktpreise vernünftig amortisieren können. Man sieht es sehr schön an den langen Kolonnen von Traktoren. So viele sind schlichtweg nicht erforderlich um das Land hier im Spessart bzw. am Untermain zu bestellen. Da von der Fiktion ausgegangen wird, dass Familienbetriebe erhalten werden können, werden die Inhaber zu Investitionen veranlasst die Ihnen auf Dauer das Genick brechen. Das merken und fühlen die. Und deswegen ist eine grundsätzliche Unsicherheit und Unzufriedenheit da.
Zukünftige Entwicklungen
Spätestens wenn die Ukraine EU-Mitglied wird, können die EU-Subventionen im heutigen Umfang nicht mehr gezahlt werden. Schon jetzt ist der Anteil der Agrarsubventionen am EU-Haushalt absurd hoch.
Weltweit müssen die klimaschädlichen Emissionen reduziert werden. Dazu werden diese Emissionen besteuert. Mit der CO2-Abgabe ist damit begonnen worden, aber der Weg muss natürlich weiter begangen werden. Auch die in der Landwirtschaft freigesetzten Methangase müssen irgendwann bepreist werden. Die Proteste der Viehzüchter kann ich mir schon lebhaft vorstellen.
Der Fleischkonsum nimmt tendenziell ab. Zum einen, weil bewußt weniger Fleisch verzehrt wird und zum anderen, weil Fleischprodukte zunehmend und billig vegan erzeugt werden können. Man bewegt sich also auf einem schrumpfenden Markt und wird über kurz oder lang zu Anpassungen gezwungen.
Und ein letzter Punkt: den Bauern ist bewusst, dass sie von Subventionen abhängig sind wie der Süchtige von seiner täglichen Portion Stoff. Und ihre große Befürchtung ist, dass diese Subventionen irgendwann für den Staat unbezahlbar werden. Dass sie also ihren Stoff nicht mehr bekommen.
Bei irgendwelchen Anlässen, hier beispielsweise dem Wegfall der Subventionen für Agrardiesel bricht dann der Frust, die Enttäuschung und die Wut der abgehängten Landwirte aus.
Bauernproteste 2024 im Spessart trotz gigantischer Subventionen
Die Landwirte werden durch Subventionen und Direktzahlungen weit über Gebühr finanziert. Eigentlich müssten sie dem Staat dafür dankbar sein.
Die durchschnittliche Subvention je Vollerwerbsbetrieb liegt bei 47.000 € pro Jahr. Dankenswerter Weise müssen im Internet die Subventionen veröffentlicht werden, die an einzelne Bauern gezahlt werden. Schaue ich beispielsweise für meinen Wohnort Dammbach In der entsprechenden Datenbank nach, (https://www.agrar-fischerei-zahlungen.de/Suche finde ich einen Gast- und Landwirt, der auf extensivste Art und Weise Bullen züchtet und diese dann in seiner Gastwirtschaft vermarktet. Sage und schreibe. 47. 290 Euro und 10 Cent bekam er Im Haushaltsjahr 2022 laut dieser Aufstellung.
Vergleichen wir da doch einmal einen Bauern mit einem Normalbürger. Wenn ein Normalbürger im Jahr 47.000 € verdient, dann muss er davon Steuern zahlen. Wenn ein (Haupterwerbs-) Bauer 47.000 € verdient, dann bekommt er im Schnitt den gleichen Betrag nochmal als Subvention dazugezahlt. Sicher muss er dann auch Steuern zahlen, aber der grundsätzliche Unterschied bleibt doch. Um nochmals auf den Anlass der Bauernproteste zu kommen: Was machen bei solchen Beträgen 25 Cent pro Liter Diesel aus. Gar nichts! Jeder Autofahrer weiß, dass an einer normalen Tankstelle der Dieselpreis innerhalb eines Tages um diesen Betrag schwanken kann.
Und noch ein Aspekt: Wenn Subventionen dazu führen, dass mehr produziert wird, dann tragen sie zu den oft beklagten niedrigen Preisen von Agrarprodukten bei. Steigt das Angebot bei gleichbleibender oder sogar sinkender Nachfrage, so sinkt der Preis. Das ist eine ökonomische Binsenweisheit. Und dann ertönt der Ruf nach noch mehr Subventionen.
Die Landwirte im Spessart haben 2024 eine Grenze überschritten.
Sie haben bewusst die völlig unbeteiligte Bevölkerung als Geisel genommen, um ihre eigenen finanziellen Interessen durchzusetzen. Und das werden sich mit Sicherheit auch andere Berufsgruppen genau anschauen. Wenn beispielsweise die Altenpflegerinnen, die Erzieherinnen, Schulsekretärinnen oder die Bauarbeiter mehr Geld wollen, dann können Sie zusätzlich zu ihren Streikt auch noch Autobahnauffahrten, Kreisel oder Kreuzungen blockieren. Die einen mit ihren Kleinwagen, die anderen mit Baulastern. Oder stellen wir uns vor, ein Abiturjahrgang ist der Meinung, das Mathe-Abitur sei zu schwer gewesen. Er meldet eine Versammlung und Demonstration an der Autobahnausfahrt Rohrbrunn an. Was den Bauen zusteht, das steht auch den Abiturienten zu oder den Krankenschwestern, den Erzieherinnen u.s.w.. Und die Polizei steht dabei und verhindert, dass die Kleinwagen von starken Männern einfach beiseitegeschoben werden.
Bauernproteste im Spessart werden verharmlost
„Es war doch alles halb so schlimm. Es gab doch kaum größere Störungen durch die Bauernproteste.“ So wird argumentiert und die protestierenden Bauern werden als die edlen Wilden dargestellt, die auch bei ihren Protesten streng auf das Gemeinwohl achten. Die Autofahrer, die im Stau standen oder hinter betont langsam fahrenden Traktoren herfahren mussten, sehen das mit Sicherheit anders. Und zu dem ganz großen Chaos kam es auch deshalb nicht, weil eine Reihe von Schulen den Präsensunterricht abgesagt hat und weil viele Arbeitnehmer ins Home-Office gegangen sind.
Noch ein anderer Aspekt: der Aschaffenburger Einzelhandel hat sich bitter beklagt, dass es an einem Mittwoch Warnungen wegen gefährlichem Eisregen gegeben hat. Dadurch sei an diesem Tag der Umsatz stark zurückgegangen. Wegen der Bauernproteste gab es solche Klagen nicht! Man hat wohl Angst, dass dann am nächsten Tag ein Haufen Mist vor der Ladeneingang sitzt.
Zuletzt einige Zahlen zur finanziellen Situation der Bauern
Um die wirklichen Hintergründe der Bauernproteste richtig zu verstehen, muss man einige Zahlen kennen.
Die folgenden Angaben stammen aus „Die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe„, herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Sämtliche Zahlen beziehen sich auf das Wirtschaftsjahr 2021/22. Es sind die aktuellsten und umfangreichsten seriös erhältlichen Zahlen.
Gewinne aller Haupterwerbsbetriebe:
Im Schnitt hat jeder landwirtschaftliche Haupterwerbsbetrieb in Deutschland einen Jahresgewinn von 81.935 erzielt. Der Gewinnzuwachs gegenüber dem Vorjahr betrug + 46,9 % 1. Für Bayern betragen die Zahlen 69.039 € / +27,8 % 2.
Im Einzelnen nahmen die Gewinne bei Ackerbaubetrieben um 39,9 % zu, bei Milcherzeugern um 63,6 % und beim sonstigen Futterbau um 60,6 % zu 3. Die Zahlen zeigen: nicht nur Handel und Lebensmittelindustrie haben ihre Gewinne kräftig erhöht, sondern auch die Erzeuger. Putin sei Dank.
Allerdings spielt auch die Betriebsgröße eine Rolle: Am stärksten war die Gewinnzuwachs bei Großbetrieben (+ 64,9 %) und am geringsten der der mittleren Betriebe (+ 19,7 %). Kleinere Haupterwerbsbetriebe konnten ihren Gewinn um 33,5 % steigern 4. Und 10 % aller Haupterwerbsbetriebe erwirtschafteten trotz Subvertionen nur Verluste und weitere 12 % erzielen Gewinne von weniger als 20.000 €. 5
Gewinne der Klein- und Nebenerwerbsbetriebe:
Bei den Klein- und Nebenerwerbsbetrieben liegt der Jahresgewinn je Unternehmen bei 16.535 € 6. Dazu kommt dann noch weiteres Einkommen aus einer Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft.
Direktzahlungen (= Subventionen) an landwirtschaftliche Betriebe
Über alle Betriebe hinweg betragen die durchschnittlichen Subventionen insgesamt: 47.627 € je Betrieb 7.
Bei Klein- und Nebenerwerbsbetrieben stehen dem dort erzielten Gewinnen von 16.535 € Subventionszahlungen von 17.701 € pro Jahr gegenüber 8. Man sieht: die erzielten Einnahmen decken in etwa die Kosten für Diesel, Dünger, Saatgut, Abschreibungen u.s.w. Das Einkommen dieser Gruppe kommt ausschließlich durch Subventionen zustande.
- Die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe (s.o.) S. 9 ↩︎
- Ebenda S. 19 ↩︎
- Ebenda S. 12 ↩︎
- Ebenda S. 16 ↩︎
- Ebenda S. 17 ↩︎
- Ebenda S. 24 ↩︎
- Ebenda S. 30 ↩︎
- Ebenda S. 31 ↩︎
Das Main-Echo hat über die Bauernproteste ausführlich berichtet (https://www.main-echo.de). Unten habe ich 2 interessante Bildergalerien verlinkt.